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Schlag auf Schlag: Der nächste Hinweisbeschluss des LG Erfurt
 

Florian Tautz

Sonntag, 05.05.2024

Nur wenige Tage nach dem letzten Hinweisbeschluss vom 29.04.2024 (vgl. GLÜG-Blog v. 04.05.2024) hat das LG Erfurt am 02.05.2024 einen weiteren Hinweisbeschluss erlassen (Az. 8 O 392/23). Auch darin bekundet es seine Absicht, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens Fragen vorzulegen. Das LG befürchtet die Unzulässigkeit einer maltesischen Vorlage (Rs. C-440/23) oder die Erledigung dieser Sache und möchte daher – anders als der BGH (Az. I ZR 53/23) – eine Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren nicht abwarten.

Die Vorlagefragen beziehen sich dabei nicht nur auf Rückforderungsansprüche, sondern auch auf das Verbot, Glücksspiel im Internet anzubieten, und „die Befugnis zur hypothetischen Prüfung von materiellen Restriktionen des GlüStV 2012“.

Das LG fragt mit der ersten Vorlagefrage sinngemäß danach, ob die Dienstleistungsfreiheit dem Internetverbot für virtuelle Automatenspiele, Online-Poker und/oder sonstige Online-Casinospiele unter bestimmten Bedingungen entgegensteht. Die vom LG als Teil der Vorlagefrage aufgeführten Bedingungen beschreiben zum einen die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des GlüStV 2021, beinhalten zum anderen aber auch Annahmen in Bezug auf die Suchtgefahren bestimmter Spielformen: Für Lotterien, Sport- und Pferdewetten waren Ausnahmen vom Internetverbot vorgesehen. Für Sportwetten konnten jedoch aufgrund des unionsrechtswidrig ausgestalteten Verfahrens keine Konzessionen erteilt werden, die Angebote seien gleichwohl geduldet worden. Gleichzeitig waren terrestrisch sowohl Automatenspiele als auch „in Bezug auf die Suchtgefahr […] mit den im Internet verbotenen Pokerspielen vergleichbare terrestrische Pokerspiele […] in Spielbanken“ erlaubt. In Schleswig-Holstein wurden zudem auch virtuelle Automatenspiele und Online-Poker veranstaltet und seien im gesamtem Mitgliedstaat zulässig beworben worden. Das LG sieht hier offensichtlich ein Kohärenzproblem. Die Vorlagefrage geht dabei davon aus, dass es „wohl keine ausreichenden Nachweise“ für höhere Risiken des virtuellen Automatenspiels und Online-Pokers im Vergleich zu dem terrestrischen Spielangebot“ und auch im Vergleich zu den bundesweit zulässigen Online-Glücksspielarten gab. Das LG stellt seine Vorlagefrage auch vor dem Hintergrund der Annahme, dass das Internetverbot entgegen dem Kanalisierungsziel den Schwarzmarkt wohl nicht einzudämmen vermochte, und vor dem Hintergrund der Übergangsphase vor dem Inkrafttreten des GlüStV 2021, in der zwar keine Erlaubnisse erteilt, aber der Vollzug des Verbots gegen Angebote, die sich an bestimmte Schutzvorgaben hielten, ausgesetzt wurde.

Sodann möchte das LG mit der zweiten Vorlagefrage in Erfahrung bringen, ob Art. 56 AEUV zivilrechtlichen Rückforderungsansprüchen gegen Anbieter der genannten Online-Glücksspielarten unter Berufung auf das Verbot unerlaubten Glücksspiels oder das Internetverbot entgegensteht, wenn „das zur Versagung einer Erlaubnismöglichkeit angeführte Internetverbot nicht als Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt werden kann“.

Für den Fall, dass die zweite Frage zu verneinen ist, fragt das Gericht hilfsweise danach, ob es mit Art. 56 AEUV vereinbar ist, unerlaubte Angebote bei Unionsrechtswidrigkeit des Internetverbots „rückschauend an Anforderungen zu messen, die von der Erlaubnisbehörde hätten überprüft werden müssen und/oder zunächst in der Erlaubnis hätten festgelegt werden müssen und/oder sich nur an erlaubte Anbieter richten, wie z.B. materielle Anforderungen an Einsatzlimits, und damit ein hypothetisches unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren anzunehmen“.

Die letzte Vorlagefrage betrifft die „Unionsrechtskonformität des Einsatzlimits des § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012“ und fragt nach der Vereinbarkeit dieses Limits für Anbieter virtuellen Automatenspiels, Online-Pokers und/oder sonstigen Online-Casinospielen mit der Dienstleistungsfreiheit, wenn das Limit nicht zugleich für terrestrische Angebote Anwendung findet, für Sport- und Pferdewetten auch im Online-Bereich Ausnahmen in hohem Maße gestattet wurden und die Spieler ohnehin die Möglichkeit hatten, freiwillig gesetzte Einzahlungs- oder Verlustlimits festzulegen „und der Mitgliedstaat wohl keinen Nachweis erbracht hat, dass der Schutz der Spieler durch ein zwingendes Einsatzlimit in gleicher oder besserer Weise gefördert werden kann als durch das freiwillige Limit“.

Insbesondere die erste Vorlagefrage überrascht. Wie das LG ebenfalls ausführt, gingen deutsche Behörden und Gerichte von der Unionsrechtskonformität des Internetverbots aus. Vor dem Hintergrund des Spielraums, den der EuGH den Mitgliedstaaten in Bezug auf das Schutzniveau ihrer Regulierung lässt, war dies auch nachvollziehbar. Das LG Erfurt geht offenbar von strengeren Kohärenzanforderungen aus. Allerdings legt es seinen Vorlagefragen Annahmen zugrunde, die in ihrer Pauschalität ebenfalls überraschen. So geht das LG zumindest der Fragestellung zufolge davon aus, dass von dem Online-Glücksspiel ähnliche Risiken wie vom terrestrischen Angebot ausgehen und verweist auf das Fehlen von Nachweisen. Allerdings ging auch der EuGH davon aus, dass dem Glücksspiel im Internet besondere Gefahren anhaften. Bezüglich des Poker-Spiels ließe sich etwa einwenden, dass die Spielbanken, in denen terrestrisches Poker angeboten wird, wohl zahlenmäßig deutlich limitierter sind als die Zugriffsmöglichkeiten auf das Online-Angebot. Außerdem fragt sich, inwieweit der Gesetzgeber in Anbetracht seiner Einschätzungsprärogative zu Nachweisen verpflichtet ist, solange seine Annahmen schlüssig sind.

Das LG kündigt an, dass „[d]ieser Nukleus einer EuGH-Vorlage [..] noch eingehend ergänzt werden“ wird und gibt auch in diesem Verfahren den Parteien bis Ende Mai 2024 Gelegenheit, zur beabsichtigten Vorlage Stellung zu nehmen. Zudem beabsichtigt es, „das vorliegende Verfahren nach Fristablauf auszusetzen, es ggf. mit weiteren anhängigen Online-Casino-Fällen zu verbinden und diese Fälle sodann dem Gerichtshof der Europäischen Union gebündelt zur Vorabentscheidung vorzulegen.“