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Welcher (Daten-) Schutz für welche Spieler

Professor Dr. Julian Krüper

Freitag, 3.4.2020

Der neue Glücksspielstaatsvertrag steht vor der Tür, Mitte März haben die Ministerpräsidenten ihn verabschiedet und er harrt nun der Umsetzung durch die Parlamente der Länder bis zum kommenden Jahr. 

 

In seinem Zentrum steht die nur noch nachvollziehende Legalisierung des bereits seit Jahren massiv boomenden Online-Glücksspiels. Der von den Ländern zugrunde gelegte Regulierungsansatz steht in der Tradition der Vorgängerverträge, die dem Glücksspiel große Skepsis entgegenbringen und staatliche Intervention als Mittel eines angestrebten Spielerschutzes vorsehen. Für das Online-Glücksspiel bedeutet dies die Einführung eines Spielerkontos, eines anbieterübergreifenden Einsatz- und Verlustlimits, einer anbieterübergreifenden Spielersperre und einer Verpflichtung, das Online-Spielverhalten „in Echtzeit“ durch Hintergrundsoftware zu überwachen, um frühzeitig problematisches oder pathologisches Spielverhalten zu beobachten und zu erkennen.

 

Jenseits der Frage, ob man in der glücksspielrechtlichen Regulierung einen eher strikten oder einen eher liberalen Ansatz verfolgt (der sich regelmäßig schweren Vorwürfen der Sorglosigkeit gegenüber problematischem Spielverhalten ausgesetzt sieht), macht der neue Staatsvertrag eine Frage greifbar, die den glücksspielregulierungspolitischen Diskurs seit langem unterschwellig prägt und die nur selten zu Tage tritt: Welcher Schutz für welche Spieler soll verwirklicht werden?

 

Greifbar wird die Frage, wenn man die Reaktion von einer Reihe von Datenschützern in den Blick nimmt, die die vorgesehenen Schutzmaßnahmen beim Online-Glücksspiel als zu weitgehend erachten und vor dem „gläsernen Spieler“ warnen, prominent etwa der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Und das nicht etwa, weil sich die Datenschützer gegen Schutzmaßnahmen zugunsten gefährdeter Spieler wenden würden, sondern weil der überwältigende Anteil der Bürgerinnen und Bürger, die ein unproblematisches Spielverhalten zeigen, von den Schutzmaßnahmen erfasst werden würde: Es geht also um eine Art Vorratsdatenspeicherung in Sachen Glücksspiel. Erstmals geht es dabei offen darum, wen die glücksspielrechtliche Regulierung in den Blick nehmen muss, die problematische Spielerin oder den „Durchschnittsspieler“, den etwa Bernd J. Hartmann jüngst als Adressaten des Glücksspielrechts ausgemacht hat. 

 

Jedenfalls für weite Teile der Glücksspieler geht es also um die Frage der Verhältnisbestimmung von Spielerschutz und Datenschutz. Sind die zahlreichen und weitreichenden Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung der unproblematischen Glücksspielerinnen mit dem Schutz der Problemspieler zu rechtfertigen? 

 

Die Antwort auf diese Frage ist weder eine rein rechtliche noch eine rein politische. Der Verweis auf das Spannungsverhältnis von grundrechtlicher Freiheit und grundrechtlichen Schutzpflichten deutet nur das rechtliche Problem an, das politisch aufgelöst werden muss. Dabei ist zu gewärtigen, dass in der Auseinandersetzung zwischen konkreten Gefahren (Spielsucht) und abstraktem Freiheitsschutz (Selbstbestimmung der Glücksspielerinnen) das spezifische Gewicht des abstrakten Freiheitsschutzes zumeist eher gering, die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr aber zumeist als hoch eingeschätzt wird. Ganz vergleichbare Sachlagen sind etwa auch im allgemeinen Sicherheitsrecht und im Nachrichtendienstrecht anzutreffen. Zu erinnern ist mit Friedrich August von Hayek daran, dass dort, wo die Bedeutung von Freiheit und Selbstbestimmung allein eine Frage des Einzelfalls und der Zweckmäßigkeit ist, individuelle Freiheit dauerhaft gefährdet ist - die bekannte Sentenz „freedom dies by inches“ zielt auf dieses Problem ab.

 

Jenseits der wohl durch die Gerichte zu klärenden datenschutzrechtlichen Einzelfragen sollten die Länder die Atempause des frisch verabschiedeten Staatsvertrages dazu nutzen, diese Grundfrage der Glücksspielregulierung offensiv zu adressieren und in der Auseinandersetzung mit den Stakeholdern im Glücksspielbereich - staatlichen und privaten Anbietern, Sozial-, Wirtschafts-, Rechts- und Suchtwissenschaften und der Suchthilfe - diskutieren. 

 

Das Institut für Glücksspiel und Gesellschaft will dazu im Rahmen der nächsten Jahrestagung ein Angebot machen und lädt unter dem Titel „Die Ordnung des Glücksspiels: Selbstbestimmung, Spielerschutz, Paternalismus“ ein, sich der Glücksspielregulierung in grundsätzlicher Hinsicht zu nähern. 

 

Ob die Tagung wie geplant im November wird stattfinden können, hängt von der weiteren Entwicklung der Corona-Epidemie ab. Ansonsten wird die Tagung zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden.